Welche Bedeutung hat das Laktat?
Vom hässlichen Entlein zum stolzen Schwan
„Hans Christian Andersen’s hässliches Entlein ist jetzt ein stolzer Schwan“. Dieses Zitat nach Rabinowitz und Enerbäck, 2020 beschreibt treffend, wie sich aus einen „unwichtigen Abfallprodukt des anaeroben Stoffwechsels“, dem Laktat, in Folge seiner Oxidation auch in der Muskelzelle ein wichtiger Energielieferant und auf Grund seiner vielfältigen Beeinflussung des Stoffwechsels und der Expression von Genen ein extrem wichtiger Botenstoff, ein Hormon geworden ist mit intra- (autokriner), interzellulärer (parakriner) und endokriner Wirkung über Organgrenzen hinaus.
Wenn sich unsere Sichtweise auf das Laktat so stark verändert hat, was kann man dann noch mit dem Laktat-Schwellenkonzept anfangen?
Die Brauchbarkeit des Laktat-Schwellenkonzeptes zur Trainingssteuerung wurde in einer großen Zahl von Publikationen belegt. Mit dem heutigen Wissensstand nimmt die Bedeutung des Laktats erheblich weiter zu! Reduziert man die vielen, minimal unterschiedlichen Vorgehensweisen des Laktat-Testes, seiner Auswertemethoden und seiner Nomenklatur, (-in der die Begriffe aerob und anaerob nun wirklich nicht mehr vorkommen sollten!) auf ein der Methodik der Laktat-Bestimmung angepasstes Maß, dann ist der Laktat-Test wertvoller denn je!
Laktat als Energiequelle
Beispiele: Herz und Gehirn
Schon seit den frühen 90er Jahren ist bekannt, dass Laktat schon in Ruhe eine wichtige Energiequelle für das Herz (> 10 % ) und das Gehirn darstellt! (Kaijser & Berglund, 1992).
Unter Belastung ( in der Abbildung ca. 70 % der möglichen Maximalbelastung) benötigt das Herz nicht nur mehr Energie, sondern steigert die Energieverwendung aus Laktat auf deutlich mehr als 60 %. (Kaijser & Berglund, 1992). Das Laktat wird von den Herzmuskelzellen aufgenommen und über einen Enzymkomplex, der eine mitochondrale Laktat-Dehydrogenase und einen Monocarboxylase-Transporte (MTC1) enthält, in der inneren Mitochondrienmembran bearbeitet; im Inneren der Mitochondrien wird Pyruvat frei, dass in üblicherweise der Citronensäure-Zyklus (auch TCA – Zyklus genannt) der Oxidation zugeführt wird. Die Menge des vom Herzen verwendeten Laktat steigt unter den hier angegebenen Bedingungen um mehr als das 15-fache! Auch die Nutzung von Laktat zur Energiegewinnung im Gehirn steigt unter Belastung an, allerdings nicht so immens, wie am Herzen (Dalsgaard et al 2003).
Beispiel Muskulatur:
In der Vergangenheit haben zwei wesentliche Annahmen unser Bild vom Laktat gepräg, fehlgeleitet:
- Die Bildung von Laktat aus Pyruvat ist ein Stoffwechselvorgang, der ohne Sauerstoffverbrauch abläuft, also anaerob. Man nahm deswegen an, dass die Laktat-Bildung einen beginnenden Mangel in die Versorgung der Zelle mit Sauerstoff anzeige (aerobe Schwelle) bzw. das ein Sauerstoffmangel herrsche, Energie ganz wesentlich anaerob gewonnen werde (ab der anaerobe Schwelle).
- Die Bildung von Laktat aus Pyruvat kann nur im Cytosol der Zelle unter der Vermittlung der Laktat-Dehydrogenase stattfinden. Deren Gleichgewicht liegt sehr weit aus der Seite des Laktat. Daher wurde das Laktat in der Muskelzelle als „Abfallprodukt“ des anaeroben Stoffwechsels angesehen.
Zu Punkt 1: Mittlerweile ist allerdings geklärt, dass die Produktion des Laktat aus Pyruvat in ausreichend mit Sauerstoff versorgten Zellen stattfindet; sogar in Ruhe, bei der von einem Sauerstoffpartialdruch an den Mitochondrien von 40 mm Hg ausgegangen werden kann. (Ein Sauerstoffmangel wird heut angenommen, wenn der O2-Patialdruck in den Mitochondrien 1 – 2 mm Hg unterschreitet!). Auch bei einer VO2max von 65 % ist von einem ausreichend hohen O2-Partialdruck in den Mitochondrien von 3 – 4 mm Hg auszugehen; es besteht kein Sauerstoffmangel! Daraus folgt:
Die Laktat-Produktion, auch der Anstieg der Laktat-Konzentration im Blut unter körperlicher Belastung ist kein Hinweis auf einen Sauerstoffmangel in den Muskelzellen!
Zu Punkt 2: richtig bleibt, dass die Laktat-Dehydrogenase im Cytoplasma der Muskelzellen Laktat praktisch nicht in Pyruvat umbauen kann. Aber ebenso wie das Herz verfügt auch die Muskelzelle über einen Enzymkomplex, der eine mitochondrale Laktat-Dehydrogenase (mLDH) und einen Monocarboxylase-Transporte (MTC1) in der inneren Mitochondrienmembran hat; an diesen Komplex dockt das Laktat an.
Im Inneren der Mitochondrien wird dann das Reaktionsprodukt des Enzym-Laktat-Komplexes, das Pyruvat frei, welches dann im Citronensäure-Zyklus (auch TCA – Zyklus genannt) der Oxidation zugeführt wird. Die jahrelange Annahme, dass Mitochondrien keine Laktat-Dehydrogenase und keinen MTC1 Transporter aufweisen, kann heute als widerlegt angesehen werden. (Details s. Brooks, 2020). Man geht heute davon aus, das die Muskelzellen in Ruhe etwa 50 % ihres Glucose-abhängigen Energiebedarfs über den Lakat-Weg beziehen, unter Belastung mehr als 75 %. Dabeisteigt das Verhältnis der Laktat/Pyruvat-Konzentrationen von 10/1 unter Ruhebedingungen auf > 500/1 unter Belastung an!
Laktat ist ein wichtiger Energielieferant auch in den Muskelzellen, sowohl in Ruhe, als auch besonders unter Belastung!
Warum der „Umweg über das Laktat“ bei der Anlieferung von Pyruvat aus Glucose ins Mitochondrien-Innere? Und welche Mechanismen lösen das aus?
Während die Antworten auf die zweite Frage noch auf sich warten lassen, scheint die erste Frage einer Beantwortung näher: Auch intrazellulär ist Laktat ein offensichtlich wichtiger Botenstoff, der in der Anpassung an intensivere Belastungen eine ganz zentrale Rolle spielen dürfte!
Beispiel: Zell zu Zell Shuttle
Neben der Verwendung von Laktat in der Laktat-produzierenden Zelle, findet auch ein Shuttle von Laktat zu anderen Zellen statt, ohne dass es zwischenzeitlich in der Zirkulation auftaucht. Beisppiele hierfür sind:
- Der Shuttle zwischen Muskelzellen (Typ II zu Typ I Muskelzellen)
- Astrocyt zu Neuron Lactat-shuttle
Zusätzlich wird Laktat aus der Muskelzelle zu anderen Organen verbracht, z.B.
- Muskelzelle zu Herzzellen
- Muskelzelle zu Leberzellen (Gluconeogenese)
Laktat als Botenstoff, Hormon
Alles spricht dafür, dass dem Laktat – zusätzlich zur Funktion der Energiequelle – eine wichtige Signalfunktion zukommt, dass Laktat ein wichtiger Botenstoff ist.
- Aktive Muskelzelle
In keiner Zelle des Organismus finden sich höhere Laktat-Konzentrationen als in der belasteten Muskelzelle. Die Trainierbarkeit der Muskelzellen und ihrer Organellen, insbesondere der Mitochondrien wurde immer wieder nachgewiesen. Dabei können vielschichtige kurzfristige und längerfristige Anpassungsprozesse unterschieden werden.
Man geht heute davon aus, dass das Laktat direkte Effekte auf verschiedene Genexpressionen hat, aber auch über die Induktion von weiteren Vermittlern ( reaktive Sauerstoff Species (ROS, Sauerstoffradikale) Ca++, u.v.a.m) einen Einfluss sogar auf die Menge an Mitochondrienproteinen hat.
- Gefäßneubildung
Schon ein geringer Anstieg des Laktat soll die verschiedensten Effekte auslösen: Von der Neubildung von Gefäßen (Angioneogenese) im belasteten Muskel bis hin zu der Annahme,
- Gehirn
dass der positive Effekt körperlicher Betätigung auf das Gehirn durch Lactat-Rezeptoren im Gehirn hervorgerufen wird. Bergersen: Lactate transport and signaling in the brain: potential therapeutic targets and roles in body-brain interaction (2015).
Einen Botenstoff, der auch noch spezifische Rezeptoren hat, nennen wir üblicherweise Hormon!
Als Endokrinologe freut es uns natürlich, dass alles dafür spricht, Laktat als Botenstoff, auch als Hormon zu verstehen, neben seiner Rolle in der Energiebereitstellung insbesondere für den beanspruchten Muskel bei Belastung.
Ein guter Artikel – auch mal auf Deutsch – zum Thema Laktat als Hormon findet sich bei Wahl P; Bloch W; Mester J: Moderne Betrachtungsweisen des Laktats: Laktat ein überschätztes und zugleich unter- schätztes Molekül (2009).
Also ran an die Bewegung, je höher das Laktat, desto besser sogar für das Hirn? Sicher nicht!
Zitat (nicht mehr im Netz) aus der Süddeutschen Zeitung vom 14.1.17: „Im Zielbereich eines Langlauf-Wettbewerbs klingt es wie auf einer Krankenstation. Wenn die Skiläufer ihr Rennen beendet haben, beginnt das große Husten. Asthmatische Probleme sind im Ausdauersport weit verbreitet, besonders im Winter.“
Die ausführlichen Beschäftigungen der Sportwissenschaftler mit dem Laktat haben gezeigt, dass Laktat-Werte oberhalb der IANS, ( der Begriff „Anaerobe Schwelle“ geht uns nach obigen Darstellungen nicht mehr über die Tastatur) der LT2, der 2. Laktatschwelle, eine beginnende Übersäuerung des Organismus anzeigen mit all den damit verbundenen Problemen. Parallel dazu steigt der Wert für das Eiweißabbau-fördernde Hormon Cortisol an mit einer Intensivierung des Protein-Verbrauchs zur Energiebereitstellung.
Gesucht wird daher ein Zielkorridor für einen vernünftigen Laktat-Anstieg. Wie immer:
Auf die Dosis kommt es an, auch bei der Bewegung!
So lange wir nichts besseres wissen: Für „Gesundheitssportler“ Training zwischen LT1 und LT2!
Laktat-Resistenz?
Wenn wir uns allerdings mit dem Laktat beschäftigen und seine tollen Wirkungen bei der Vermittlung der Segnungen unseres Organismus durch Sport, dann müssen wir aber auch eine Antwort auf das folgenden Phänomen suchen: Je schlechter die körperliche Leistungsfähigkeit eines Mensche, auch je übergewichtiger er ist, desto häufiger sehen wir hohe Laktat-Werte schon in Ruhe! Die Lebensdauer der gerade geschilderten, immer größer werdenden Bevölkerungsgruppe ist allerdings niedriger, als die derjenigen, die ein niedriges basales Laktat aufweisen! Ist dieses Paradoxon eventuell auf eine Laktat-Resistenz in der betroffenen Gruppe zurückzuführen? – man fühlt sich so stark an die Insulin-Restistenz erinnert, dass ich fast Insulin-Resistenz anstelle von Laktat-Resistenz geschrieben hätte!
In einer Studie aus diesem Jahr (Chondronikola et al, 2018) wurde auf den Zusammenhang zwischen der Insulin-Resistenz und einem hohen nüchtern Laktat hingewiesen.
Es bleibt viel zu forschen!!
Gnadioser Artikel!
Hier wird der Energiestoffwechsel und speziell die Bedeutung und Aufgaben des Laktats hervorragend beschrieben. Für mich als Sportwissenschaftler sind hier einige bedeutende Neuerungen im Vergleich zu meiner universitären Ausbildung nachzulesen, welche das Laktat sowie dessen Interpretation in einem neuen Licht erscheinen lassen. Die Erklärungen sind sehr anschaulich und verständlich. Man merkt, dass der Autor, Prof. Dr. med. Heinen, für das Thema brennt und gerne sein Fachwissen an Interessierte wie mich weitergibt.
Vielen Dank für diesen brillianten Artikel und die Erkenntnisse, die der geneigte Leser bzw. die geneigte Leserin daraus ziehen kann.